Recruiting ist zu einem Sales &Marketing-Job geworden

Organisator, KMU, Interview, Recruiting

Raphael Ineichen 01.12.2020

Dieses Interview erschien im ORGANISATOR - DEM MAGAZIN FÜR KMU (Ausgabe 11/12 2020) - link zum PDF

VON THOMAS BERNER
www.organisator.ch

Die Komplexität moderner Rekrutierung überfordert zahlreiche Unternehmen, insbesondere KMU. Hier will Digitalent in die Bresche springen: Nicht allein in Form eines reinen digitalen Tools, sondern in Verbindung mit persönlichem Service. Wie das geht, erklärt Firmengründer und CEO Raphael Ineichen im Interview.

Vor einigen Wochen habe ich eine Veranstaltung besucht, die unter dem Titel «HR 4.0» stand. Inwiefern ist Digitalent ein Teil von HR 4.0?

Wir sind wahrscheinlich sehr nahe an HR 4.0 dran. Wenn man davon ausgeht, dass 4.0 für die Nutzung digitaler Tools und Big Data steht, dann trifft dies sicher zu. Andere stehen da womöglich eher noch bei HR 1.1…

Wenn man Ihre Website betrachtet, liegt der Schluss nahe: Sie digitalisieren das Recruiting. Inwiefern trifft das zu?

Die Digitalisierung bietet auch für das Recruiting viele Chancen. Wir digitalisieren jedoch nicht das Recruiting an sich, sondern nutzen Technologie, um Prozesse zu digitalisieren und um potenziellen Kandidaten eine gute Experience zu bieten. Zugegeben: Das tun viele andere inzwischen auch, doch mit der Konsequenz, dass Technologien häufig einfach noch falsch genutzt werden. Es kann ja nicht sein, dass ich mich zwar online via Firmenwebsite bewerben kann, ich dann aber postwendend einen Wust an auszufüllenden Formularen kriege. Das wirkt dann eher abschreckend als innovativ.

Was machen Sie denn besser bzw. anders? Wie unterscheidet sich Digitalent z.B. von einem konventionellen Personalvermittler?

Wir haben ein anderes Geschäftsmodell. Ein Personalvermittler arbeitet ja in der Regel ohne Auftrag, er schickt Dossiers von Kandidaten an Unternehmen und verdient sein Geld dann, wenn es wirklich zu einer Einstellung kommt. Verständlich ist da das Bestreben, natürlich insbesondere gut bezahlte Bewerber zu platzieren… Wir hingegen sind kein Personalvermittler, sondern sind für unsere Kunden die outgesourcte Rekrutierungsabteilung – wir sind also quasi eine verlängerte Werkbank. Wir richten uns an KMU, die oft genug keine eigene Recruiting-Abteilung haben, weil ihnen die Ressourcen dazu fehlen. Recruiting ist zu einem Sales&Marketing-Job geworden: Arbeitgeber müssen ihre zu besetzenden Stellen genauso verkaufen, wie es ein Unternehmen mit seinen Produkten tut. Da kann man nicht mehr einfach einen Job ausschreiben und abwarten, was da kommt. Wir gehen nun also hin und stellen unseren Kunden für das Recruiting eine komplette Infrastruktur einschliesslich Team zur Verfügung. Der Kunde bezieht davon das, was er für seine Bedürfnisse benötigt, und bezahlt gemäss Aufwand.

Wer sind Ihre Kunden bzw. aus welchen Branchen stammen diese?

Es sind vor allem technologieorientierte Unternehmen, z.B. aus der IT-Branche. Diese haben den grössten Recruiting-Bedarf. Grundsätzlich ist unser Angebot jedoch branchenunabhängig.

Welche Rolle spielt der Fachkräftemangel?

Der ist definitiv da und wird sich noch zuspitzen. Doch davon sind alle betroffen. Allerdings sind Tech-Unternehmen eher bereit, Geld ins Recruiting zu investieren.

Das heisst, auch Talent Management und Employer Branding werden immer wichtiger.

Ja, erst recht, wenn Sie als Unternehmen noch kein Brand sind. Beobachten Sie einmal Firmenwebsites: Diese sind vornehmlich auf Kunden ausgerichtet und nicht auf Bewerber. Wenn Sie als Arbeitgeber aber keine Karrierewebsite haben, ist das vergleichbar mit einem Hotel ohne Lobby.

Wie gross ist deshalb Ihre Beratungsarbeit bei den Kunden?

Die Beratung gehört zu unserem Portfolio dazu. Eine Karriereseite besteht ja aus zahlreichen Elementen, welche in der Summe die Arbeitgeberpositionierung transportieren. Gemeinsam mit dem Kunden erarbeiten wir in einem Workshop die Inhalte und schaffen damit die Basis für eine authentische Kandidatenkommunikation. Technisch gesehen, ist eine Karrierewebseite viel mehr wie eine gewöhnlichen Website. Denn auch ein CRM steckt dahinter, Schnittstellen zu Jobportalen und anderen Systemen. Nach dem Workshop setzen wir die Karriereseite im Corporate Design des Kunden um und integrieren diese nahtlos in seine Website.

Also sehr viel «digital». Im HR geht es aber um Menschen. Wie weit geht mit digitalisierten HR-Prozessen das Menschliche verloren?

Der Rekrutierungsprozess besteht im Wesentlichen aus zwei Teilen. Im ersten Teil geht es um das Wecken von Aufmerksamkeit, das Generieren von Interesse und anschliessend eine Vorselektion zu treffen. Bei aller Technologie, die wir einsetzen, sind jedoch in allen Phasen bereits Menschen mit Menschen zugange. Den zweiten Teil übernimmt dann der Kunde. Die persönlichen Interviews und der Personalentscheid bleiben Sache der Arbeitgeber.

Welche Vorteile bietet denn die Lösung von Digitalent konkret?

Wir verschaffen KMU die Rekrutierungs-Power, welche sonst nur Grossunternehmen vorbehalten ist, und versorgen sie so mit den richtigen Talenten. Unser «Recruiting-as-a-Service»-Ansatz beinhaltet dazu sämtliche Ressourcen für ein modernes Recruiting: 1. Eine Top-Recruiting-Infrastruktur mit Karrierewebseite, CRM, Talentpools, Schnittstellen zu Jobportalen etc. 2. Ein Team von Recruiting-Experten mit Spezialisierung von Online-Marketing bis Active Sourcing. 3. Den Zugang zu einer aktiv gepflegten Community. Sie besteht aus mehreren Tausend IT-, Digital- und Technologie-Experten. Der Kunde nutzt unseren Service modular und bedarfsgerecht.

Wie viele KMU arbeiten schon mit Ihrer Lösung?

Derzeit sind es gut 30 Kunden. Allen diesen Kunden ist gemeinsam, dass sie entschieden haben, die oben beschriebenen Ressourcen nicht intern aufzubauen. Viele von ihnen verfügen nun über eine Karrierewebsite, die jenen von Grossunternehmen in nichts nachsteht. Ein solches Beispiel ist etwa der Auftritt der Firma Baggenstos aus Wallisellen.

Und wie suchen Sie selbst Ihre digitalen Talente?

Wir arbeiten natürlich nach denselben Prinzipien. Unser «Beuteschema» – wenn Sie so wollen – sind oft Studienabgängerinnen und -abgänger. Bei dieser Gruppe erweist sich z.B. Facebook als guter Kanal. Darüber hinaus suchen wir ganz gezielt und aktiv nach geeigneten Talenten. Active Sourcing ist schliesslich unser Kerngeschäft.

Weshalb ist Active Sourcing denn so wichtig?

Schauen Sie: Betrachten wir die gesamte arbeitende Bevölkerung, dann suchen davon etwa 10 Prozent einen neuen Job. Wenn Sie als Arbeitgeber Qualität bei neuen Mitarbeitenden suchen, finden Sie diese nicht unbedingt in diesen 10 Prozent. Deshalb gilt es, bei den anderen 90 Prozent zu suchen, die zwar einen guten Job haben, aber vielleicht ein noch besseres Angebot nicht ausschlagen.

Das heisst: All jene Unternehmen, etwa aus der IT-Branche, die über Fachkräftemangel klagen, haben vielleicht gar nicht am richtigen Ort gesucht?

Ja, oder sie haben gar nicht gesucht. Suchen ist nämlich ein aktiver Prozess – «nur» inserieren ist nicht wirklich suchen. Hinzu kommt, dass gute Informatiker eigentlich nie einen Job suchen müssen, die spannenden beruflichen Herausforderungen werden an Sie herangetragen. Wir leben längst in einem Arbeitnehmermarkt, entsprechend sollte man sich als Unternehmen auch verhalten. Neben fachlichen Anforderungen ist es letztlich v.a. entscheidend, jene Leute zu finden, die auch wirklich in die Firma passen.

Seit wann gibt es Digitalent und was sind Ihre nächsten Ziele?

Mit Digitalent sind wir seit bald drei Jahren am Markt. Ich habe seinerzeit ganz alleine damit angefangen, hatte aber schon ein paar Kunden. Die Zahl der Kunden hat sich dann von Jahr zu Jahr verdoppelt und das Team ist auf 13 Mitarbeiter gewachsen. Ich bin zuversichtlich, dass diese Entwicklung auch im nächsten Jahr weitergeht. Meine Idee ist es, Unternehmen zu zeigen, wie man das Rekrutieren als einen Prozess verstehen kann. Wir verkaufen deshalb nicht einfach ein Tool, sondern einen Managed Service. Technologisch müssen wir «top-notch» bleiben. Aber auch thematisch wollen wir uns weiterentwickeln: mehr Personalisierung, eine hoch individualisierte Ansprache von Menschen, etwa durch Videobotschaften, personalisierte Stellenanzeigen usw. Aber auch automatisierte Prozesse und eine positive Candidate Experience sind wichtige Elemente.

Bleiben Sie weiterhin auf die IT-Branche fokussiert?

IT-Recruiting ist so was wie die Champions League der Rekrutierung. Diese Erfahrungen sind durchaus auch in andern Bereichen wertvoll. Wir sind deshalb bereits dran, in andere Branchen vorzustossen...

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Über den Autor

Raphael Ineichen ist CEO & Gründer von digitalent. Mit seiner Erfahrung in den Bereichen Sales & Marketing, Technologie und Talent Acquisition gibt er sich bei digitalent seiner Leidenschaft hin: Er entwickelt und betreibt mit seinem Team ein einzigartiges Talent Ökosystem, welches Unternehmer nachhaltig mit den richtigen Mitarbeitern versorgt.

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