Raphael Ineichen 06.04.2021
Aus dem HR Today Blog vom 14. Januar 2021
Erfolgreiche Unternehmen bieten Produkte und Dienstleistungen, welche Probleme lösen oder ein Bedürfnis ihrer Zielkunden befriedigen. Diese Zielkunden zu identifizieren und vom ersten Berührungspunkt bis zur Vertragsunterzeichnung zu begleiten, ist Aufgabe einer Abteilung die sich Sales & Marketing oder ähnlich nennt. Wenn der Kunde unterschrieben hat, übernimmt dann eine andere Abteilung. Sie ist darauf spezialisiert, den neuen Kunden mit den Produkten und Dienstleistungen glücklich zu machen. Diese natürliche Gewaltentrennung kennt man im HR jedoch kaum. Warum eigentlich?
Es ist gängige Praxis und ein weit verbreiteter Irrglaube, dass das Recruiting ein integrierter Teil der Personalabteilung sein muss – einfach, weil es immer so war. In Wirklichkeit unterscheiden sich die Aufgaben von Recruitern kategorisch von denen ihrer Kollegen in der Personalabteilung. Die meisten Recruiter, die ich kenne, sehen es sogar fast als Beleidigung an, mit HR identifiziert zu werden. Warum? Weil Recruiting – wie im einleitenden Beispiel beschrieben – viel mehr mit Verkauf und Marketing vergleichbar ist. Und da arbeiten nun mal ganz andere Menschen.
Recruiting ist Verkauf. Recruiter «verkaufen» Ihr Unternehmen bzw. den Arbeitgeber dem Rest der Welt. Recruiting ist Marketing. Mit den gleichen Prinzipien wie Ihre Marketing-Mitarbeitenden generieren Recruiter «Leads» in Form von Bewerbern für offene Positionen. Dieselben Recruiter nehmen diese Leads auf, kontaktieren sie, bestimmen, welche es wert sind, weiter verfolgt zu werden, und befördern sie durch den «Recruiting-Trichter». Mit dem kleinen Unterschied, dass dieser Trichter dazu führt, dass jemand Mitarbeitender wird, anstatt Kunde. In Wirklichkeit verkaufen Recruiter sogar zweimal. Sie verkaufen dem Kandidaten den Job und sie verkaufen dem einstellenden Manager den Kandidaten.
Eine Berufsgattung, welche sich professionell damit beschäftigt, geeignete Mitarbeitende für eine Vakanz zu finden, sind die seriösen Personalvermittler und Headhunter. Es überrascht kaum, dass die meisten dieser Berater nicht über eine Karriere in der Personalabteilung zu diesem Job kamen. Fast alle fanden den Weg aus dem Business und waren typischerweise in Vertrieb, Marketing, Technik oder Finanzen tätig. Mit «seriös» schliesse ich übrigens explizit die zahllosen Vermittler der Kategorie «Dossier-Schieber» aus. Würde Recruiting zu den Kernkompetenzen des HR zählen, gäbe es diese Industrie nämlich gar nicht.
Das HR-Management ist ein enorm umfangreiches Fachgebiet. Mit der Personalplanung, -verwaltung, -entwicklung und -kommunikation hat HR weiss Gott bereits genug am Hut, auch ohne Recruiting. Wer sich für eine HR-Laufbahn entscheidet, macht dies in der Regel nicht, weil verkaufen seine Passion ist. Und seien wir ehrlich: Die Entscheidung darüber, wer letztlich eingestellt wird, fällt ohnehin die Linie. Das ist auch gut so, weil das HR für die Qualität der Einstellungen weder belohnt noch verantwortlich gemacht wird. Da es fürs HR beim Thema Recruiting also mehr zu verlieren als zu gewinnen gibt, sollte es sich des Themas entledigen.
Ausgeprägte Vertriebskompetenz ist eine der wichtigsten Eigenschaften des Recruiters. Recruiter müssen in der Lage sein, Beziehungen aufzubauen sowie die Mentalität eines Jägers und starke kommunikative Fähigkeiten haben.
Diese Fähigkeiten haben Sie als Arbeitgebender (hoffentlich) bereits in Ihrem Vertriebsteam. Warum machen Sie die Suche nach neuen Mitarbeitenden nicht zu dessen Aufgabe? Sie haben die Fähigkeiten und die Mentalität dazu. Integrieren Sie die Rekrutierungsfunktion in Ihr Sales- und Marketing-Team und vergüten Sie sie so, wie Sie Ihr Verkaufsteam entlohnen. Ermöglichen Sie ihnen, den Rekrutierungsprozess neu zu denken, um grossartige Kandidaten so zu finden, wie sie grossartige Kunden finden würden.
Ohne das Recruiting hat HR mehr Zeit dafür, Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen sich die bestehenden Mitarbeitenden weiterentwickeln können, glücklich sind und dem Unternehmen länger erhalten bleiben. Letztendlich braucht es dann auch weniger Recruiting…